Gestrandet - Endstation Südsee
Kapitel 4
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© 2015 Gestrandet - Endstation Südsee
Gestrandet - Endstation Südsee
Abenteuer-Thriller von Steeve M. Meyner

04 – Die Insel

Als ich wieder zu mir kam, hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo ich mich befand. Ich lag auf einem kleinen Sandstrand, der kaum mehr als zehn Meter lang sein mochte. Rechts und links erhoben sich steile Felsen in die Höhe. Die Sonne brannte mir auf dem Kopf. Immer wieder rollten große Wellen in die Bucht, doch sie mussten inzwischen deutlich kleiner geworden sein oder die Ebbe hatte eingesetzt, da sie mich nicht mehr erreichten.

Ich habe bis jetzt nicht die geringste Ahnung, wie ich hierher gekommen war, doch das viele Treibholz und so manch anderer Zivilisationsmüll, die außer mir auch noch am Strand herumlagen, deuteten darauf hin, dass hier ganz offensichtlich häufiger etwas angespült wurde. Das war dann sicher auch meine Rettung gewesen.

Als ich meinen Blick etwas über den Strand schweifen ließ, blickte mich plötzlich eine quitschegelbe Gummi-Ente an. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, war: Kinder - und damit auch, dass hier Menschen sein mussten, denn wie sonst sollte die Ente hierher gekommen sein? Erst einige Zeit später erinnerte ich mich an einen Nachrichtenticker, den ich vor einigen Monaten gelesen hatte, in dem berichtet worden war, dass ein ganzer Container dieser Spielzeuge über Bord eines Containerschiffs gegangen war und seither die gelbe Fracht von Wind und Meeresströmungen über die Weltmeere verteilt wurde. Fast überall in der Welt, selbst hinauf bis nach Alaska, waren schon vereinzelte Exemplare an Land gespült worden.

Außer dem Strandgut schien es jedoch keinerlei Spuren menschlichen Einflusses zu geben: keine Stege, keine Hütten oder irgendetwas dergleichen. Zugegebener Maßen hatte ich das auch gar nicht erwartet, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich immer zuletzt. Trotzdem oder gerade deswegen musste ich herausfinden, wo ich war. Und dieses möglichst sofort!

Ich versuchte aufzuspringen, sank jedoch im gleichen Augenblick wieder in mich zusammen, da ein stechender Schmerz meinen ganzen Körper durchfuhr. Ganz vorsichtig begann ich nun ein Körperteil nach dem anderen zu bewegen, um quasi einen Systemcheck durchzuführen. Bei den Fingern war noch alles in Ordnung. Meine Arme und Schultern schmerzten schon erheblich. Ebenso der Kopf. Doch so richtig böse wurde es bei meinen Beinen, genau genommen bei meinem rechten.

Ein Blick darauf offenbarte auch gleich den Grund dafür. Fast das ganze Bein war von Kratzern übersät und am Oberschenkel sogar aufgerissen. Dort steckten noch ein paar spitze Korallen. Die hatten sich so verkantet und verhakt, dass ich sie nicht einfach so herausziehen konnte, sondern sie regelrecht herauspulen musste. Der Schmerz war höllisch! Doch ich musste die Fremdkörper so schnell wie möglich wieder aus meinem Fleisch herausbekommen, nicht zuletzt auch deshalb, weil ich fürchtete, die Wunde könnte sich sonst entzünden.

»Freak noch mal!«, war neben einem leisen Stöhnen das Einzige, was ich durch meine geschlossenen Zähne presste, als das Letzte der Stücke endlich herauskam. Ein Schwall Blut folgte den Korallenbruchstücken. In Ermangelung jedweden Verbandsmaterials streifte ich mir mein T-Shirt herunter und presste es auf die Wunde.

Das Gute war jedoch, dass das meine einzige wirklich etwas schwerere Verletzung war, auch wenn mir alles mehr oder weniger stark weh tat. Meine Befürchtung, in dieser Situation vielleicht auch noch einen Knochenbruch zu haben, blieb zum Glück unbegründet.

Nachdem ich mir mithilfe des Shirts einen notdürftigen Verband angelegt hatte, versuchte ich noch einmal aufzustehen. Langsam humpelnd lief ich den kleinen Strand ab in der Hoffnung, inmitten des Strandgutes brauchbare Dinge oder sogar Teile oder Inventar unserer Jacht zu finden.

Letzteres war jedoch nicht dabei. Ob ich darüber froh sein sollte oder nicht, wusste ich in dem Moment nicht, denn es konnte entweder daran liegen, dass das Wrack noch mehr oder weniger intakt war oder von den Wellen als Ganzes auf den Grund des Meeres versenkt worden war.

Durst brannte mir in der Kehle, die sich von dem vielen Salzwasser, was ich geschluckt hatte, ganz trocken anfühlte. Doch außer dem Meer war kein Wasser zu sehen und dieses war in keinster Weise geeignet, meinen Brand zu löschen. Das war mir schon klar. Als Erstes brauchte ich unbedingt etwas zu trinken.

Gleich hinter dem bestimmt zehn Meter breiten Strand türmten sich ebenfalls mehrere gigantische Felsen auf, sodass es auch dort keinen gangbaren Weg gab, die Bucht zu verlassen, zumindest nicht in meiner Verfassung.

Drei Palmen, die am äußersten Ende des weißen Sandes direkt vor den Felsen standen, erweckten jedoch mein Interesse. Kokosnüsse! Tatsächlich trugen die Palmen auch die von mir ersehnten Früchte, jedoch in einer für mich unerreichbaren Höhe. Dessen ungeachtet suchte ich den Boden darunter nach etwas Verwertbarem ab.

Dort lagen zwischen kleinen und größeren Steinen die Reste der vorangegangenen Ernte herum. Dass der Inhalt für mich nicht mehr genießbar war, fand ich jedoch erst heraus, nachdem ich eine der Nüsse mühsam geöffnet hatte.

Das Öffnen ansich war nur halb so schwer, wie man es sich vorstellen würde. Die äußere, faserige Hülle war schon so stark verwittert, dass sie leicht zu entfernen war. Größere Schwierigkeiten bereitete dann doch eher die eigentliche Nuss. Doch hier kam mir eine Erinnerung zunutze: In einer Talkshow waren die prominenten Gäste genau vor diese Aufgabe gestellt worden, nämlich eine Kokosnuss ohne Säge so zu öffnen, dass die Kokosmilch nicht verloren geht. Einziges Hilfsmittel war ein Messer.

Schneiden ging natürlich nicht und einfach wie wild draufhauen war auch nicht die Lösung gewesen, sondern die Nuss musste mit etwas Beharrlichkeit und kurzen Schlägen rund um den Äquator bearbeitet werden, bis die harte Schale dann einmal rundherum aufreißt. Anstelle des Messers funktionierte in meinem Fall auch ein scharfkantiger Stein ganz gut.

Auch wenn ich bei meinen ersten Versuchen wahrlich einen Großteil des Wassers verschüttet hätte, brauchte ich tatsächlich nur wenige Minuten. Einzig der Inhalt der alten Nüsse roch schon ranzig und verdorben, weshalb ich den Versuch, auf diese Weise an etwas Trinkbares zu kommen, verwerfen musste, da ich an die neuen Nüsse nicht herankam.

Das Wasserproblem löste sich von selbst, als es plötzlich anfing, wie aus Eimern zu schütten. Während ich mich so sehr auf die Kokosnüsse konzentrierte, hatte ich gar nicht bemerkt, wie sich ein paar dicke, dunkle Wolken über mir zusammenzogen.

Mein Durst war recht schnell gestillt und schon bald wünschte ich mir einen Schutz vor dem Regen. Auch wenn es nach wie vor warm war, durchfuhren mich immer wieder kalte Schauer, wenn der Wind mir das Wasser ins Gesicht und auf meinen unbekleideten Oberkörper peitschte. Notdürftig suchte ich in einer Felsspalte Unterschlupf, wobei das aber auch nur äußerst geringen Nutzen brachte.

Genauso plötzlich, wie der Regen begonnen hatte, hörte er auch wieder auf und die Sonne schien erneut mit glühender Hitze auf mich herab. Im Nu war mir warm und wenig später suchte ich schon den spärlichen Schatten der Kokospalmen, da die sengenden Strahlen das Regenwasser fast augenblicklich wieder verdunsten ließen. In dieser feuchten Wärme führten bereits die kleinsten Bewegungen dazu, dass mir der Schweiß in Strömen herunterlief.

Obwohl ich mich eigentlich noch immer nicht in der Verfassung sah, eine Kletterpartie zu wagen, trieb mich der Drang nach dem Wissen, wo ich mich befand, dazu an, den Versuch zu wagen. In einer Spalte zwischen zwei der Felsbrocken schob ich mich unter Schmerzen höher und höher und schaffte es tatsächlich, oben anzukommen.

Von hier aus hatte ich einen ganz guten Überblick. Die Bucht, in der ich angeschwemmt worden war, war Teil einer schroffen Küste. Soweit ich blicken konnte, reichten die scharfkantigen Felsen fast überall bis direkt ins Wasser. Krachend brachen sich die Wellen daran und erfüllten die Luft mit einem feinen, salzigen Nebel.

Hätte die Strömung mich dort angeschwemmt, wären meine Chancen gleich null gewesen, die Landung zu überstehen.

Hinter mir erhob sich ein steiler Berg. Er mochte bestimmt mindestens zweihundert Meter hoch sein. Die kegelförmige Gestalt deutete darauf hin, dass er wahrscheinlich vulkanischen Ursprungs war, was aber hier, im Feuergürtel von Hawaii nicht so ungewöhnlich anmutete.

Dass ich mich auf einer Insel befand, daran hegte ich keinerlei Zweifel. Da machte ich mir auch keine Illusionen. Die Frage war nur, ob sie bewohnt war, oder ob wenigstens in erreichbarer Nähe zivilisierte Inseln zu finden waren.

Von meinem Standpunkt aus konnte ich jedenfalls weder das Eine noch das Andere ausmachen. Von der Insel, auf der ich mich befand, vermochte ich nur unbedeutend mehr zu überblicken als von der Bucht aus. Und soweit ich das offene Meer sehen konnte, gab es dort nichts als Wasser, Wasser und nochmals Wasser. Von anderen Inseln war nichts zu sehen, genauso wenig wie von unserer Jacht.

Dem Stand der Sonne nach musste es inzwischen bereits Nachmittag sein. Es war somit allerhöchste Zeit, mir ein geeignetes Plätzchen zum Übernachten zu suchen und da ich keine Ahnung hatte, ob es hier womöglich wilde Tiere gab, die nachts auf Beutezug gehen würden, wollte ich auf keinem Fall einfach ungeschützt mein Lager aufschlagen.

Abgesehen davon hatte ich einen mordsmäßigen Hunger, da die alten Kokosnüsse ja nicht mehr genießbar und die frischen für mich unerreichbar geblieben waren. Also entschied ich mich, erst ein geeignetes Lager zu finden und mich dann nach etwas Essbarem umzuschauen.

Gleich hinter dem Felsen standen einige Nadelbäume. Der ganze Boden war jedoch mit irgendwelchen rankenden Pflanzen zugewuchert. Das Gestrüpp war dornig und meist so dicht, dass fast kein Durchkommen möglich war. Einen Weg gab es natürlich auch nicht, was mich jedoch nicht verwunderte, da ich bisher ja noch keinerlei Spuren menschlicher Zivilisation gefunden hatte.

Spätestens jetzt kam mir Robinson Crusoe in den Sinn und ich fühlte mich wie er, obwohl ich die Hoffnung, auf eine Siedlung oder wenigstens eine Funk- oder Radarstation zu treffen, noch längst nicht aufgegeben hatte. Jedenfalls meinte ich mich zu erinnern, dass er die ersten Nächte auf einem Baum verbracht hatte. So entschloss ich mich, das Gleiche zu tun, da mein Bein wie verrückt schmerzte und ich keine Ambitionen hatte, heute noch eine größere Strecke zurückzulegen.

Gleich die zweite der windgepeitschten Kiefern bot mir genau das, was ich suchte. In einiger Höhe teilte sich die Krone in vier dicke Äste auf. Das dadurch entstandene Plateau erschien mir passend für ein erstes, provisorisches Lager.

Auf dem Weg zu dem Baum zerkratzte ich mir meine ungeschützten Beine an den zum Teil mehrere Zentimeter langen Dornen, die das Gestrüpp schmückten, bis mir das Blut in dünnen, roten Linien die Waden herunterlief. Doch dann, kurz bevor ich den Baum erreichte, wechselte zu meiner Freude der Bodenbelag von Stachelgestrüpp zu dichtem Gras.

Dort standen auch einige etwas mehr als mannshohe Gewächse mit riesigen Blättern, die auf den ersten Blick an Bananenstauden erinnerten. Die kleinen rötlichen Früchte sahen zwar nur entfernt wie Bananen aus, doch mein Hunger war so groß, dass ich umgehend einen Versuch wagte.

Das weiche Fruchtfleisch roch fruchtig und schmeckte etwas säuerlich, aber doch nach Banane. Es war jedoch von jeder Menge harten Kernen durchsetzt. Trotzdem fühlte es sich für mich so an, als ob ich noch nie etwas Leckereres gegessen hatte.

Eine Frucht nach der anderen stopfte ich in mich hinein, bis ich endlich satt war. Wahrscheinlich, nein ganz sicher, wäre etwas Zurückhaltung gut gewesen, wie es sich schon kurze Zeit später herausstellte.

Als Nächstes versuchte ich, auf den Baum zu klettern, um mir die auserkorene Stelle genauer anzuschauen. Versuchen ist auch genau das richtige Wort für meine unbeholfenen Anstrengungen. Zum einen musste ich schnell feststellen, dass es mit meinem verletzten Bein alles andere als einfach war, an einem Baumstamm hochzuklettern, zumal ich auch sonst schon nicht unbedingt ein Klettertyp bin.

Die gut vier bis fünf Meter waren so zumindest von mir nicht zu überwinden. Was ich brauchte, war eine Leiter oder zumindest ein Seil. Beides hatte ich aber nicht.

Da aber neben den Bäumen einige dünne Äste auf dem Boden lagen, versuchte ich, mir daraus etwas Leiterähnliches zu bauen, um damit zumindest den untersten Ast zu erreichen. Nachdem ich mir zwei lange Äste für die Schenkel und noch ein paar Kürzere für die Sprossen gesucht hatte, brauchte ich Stricke, um diese festbinden zu können. Dafür kamen mir die wilden Bananenstauden ganz gelegen.

Die großen Blätter zerlegte ich in fingerdicke Streifen, mit denen ich dann mehr schlecht als recht versuchte, die Sprossen festzubinden. Meine Zweifel an der Haltbarkeit wurden bereits bei meinem ersten Test bestätigt. Schon bei mäßiger Belastung fiel meine Leiter wieder auseinander.

Etwas frustriert, aber gleichzeitig auch angespornt, startete ich einen nächsten Anlauf. Diesmal verwendete ich jedoch nicht die Blätter, sondern deren faserigen Fortsätze, die quasi den weichen Stamm der Stauden bildeten. Diese ließen sich in dünne und lange Faserbündel zerlegen, aus denen ich mir einige erstaunlich feste Stricke flocht. Aus mehreren dieser noch recht dünnen Stricke machte ich mir fingerdicke Seile, mit denen ich dann die Sprossen erneut festband.

Das Ergebnis meiner Arbeit konnte sich sehen lassen. Vielleicht hätte die Leiter keinen Handwerks- und auch keinen Schönheitspreis gewonnen, aber mit ihrer Hilfe gelang es mir, auf den Baum zu steigen. Über der Arbeit hatte ich gar nicht bemerkt, dass die Sonne inzwischen schon ganz tief stand. Außerdem war ich so müde, dass ich sofort einschlief, nachdem ich endlich eine halbwegs bequeme Position zwischen den vier Ästen gefunden und mich so platziert hatte, dass ich im Schlaf nicht ohne Weiteres herunterfallen konnte.

Obwohl ich zwar sofort eingeschlafen war, konnte ich nicht von einer erholsamen Nacht sprechen. Bei jeder noch so kleinen Bewegung wachte ich auf. Bequem war mein Lager jedenfalls nicht. Dazu kamen noch die andauernden Schreie irgendwelcher mir unbekannter Tiere, die mich immer wieder aufschrecken ließen. Ob sie für mich eine Gefahr darstellten oder nicht, wusste ich nicht. Und ich spürte auch keinerlei Bedürfnis, es herauszufinden. Dementsprechend war ich ganz froh über die Wahl meines Schlafplatzes, der mir zumindest ein klein wenig das Gefühl der Sicherheit verschaffte.

Dass es mitten in der Nacht noch einmal anfing, wie aus Eimern zu schütten, raubte mir das letzte bisschen Behaglichkeit, war aber noch längst nicht das Schlimmste.

Mein Bauch spielte verrückt. Ob es an dem Salzwasser lag, welches ich geschluckt hatte oder an der etwas größeren Menge der wilden Bananen, wusste ich nicht. Möglicherweise lag es ja auch an beidem. Jedenfalls fühlte es sich so an, als würden meine Gedärme jeden Moment explodieren wollen.

Ein gepflegter Gang auf die Toilette wäre genau das gewesen, wonach es mir verlangt hätte, doch angesichts der Ungewissheit, was für Getier mich wohl auf dem Boden erwartete, traute ich mich nicht, von meinem Baum herunterzusteigen.

Erst, als ich überhaupt nicht mehr anders konnte, kletterte ich eilig meine Leiter hinab. Ich hatte den Boden noch nicht erreicht, als mich ein scharfes Fauchen hinter meinem Rücken erstarren ließ. Ich fühle quasi schon, wie irgendeine Bestie ihre scharfen Zähne in meinen Nacken schlug. Mit einem Satz war ich wieder auf dem Baum. Dass dabei die Leiter umfiel, entledigte mich der Frage, ob ich in dieser Nacht noch einen weiteren Abstiegsversuch unternehmen sollte.

Den Rest der Nacht machte ich kaum noch ein Auge zu. Nachdem ich mich mehrmals unfreiwilligerweise 'entleert' hatte, dämmerte ich im Halbschlaf vor mich hin. Dazu kam auch noch ein weiterer Regenguss, der mich erneut bis auf die Haut durchnässte und trotz des nicht wirklich kalten Windes frösteln ließ.

 

Als endlich die ersten Sonnenstrahlen den Horizont entflammten, war ich völlig ausgelaugt und fertig. Wie lange ich dann doch noch geschlafen hatte, weiß ich nicht. Die Sonne stand jedoch schon recht hoch am Himmel, als ich erwachte.

In meinem Bauch grummelte es noch immer. Wie gerädert und mit schläfrigen Augen blickte ich mich von meiner erhöhten Position um. Und mit einem Male war ich hellwach. Da war sie - unsere Jacht!

Gut einhundert Meter vom felsigen Strand entfernt hing sie auf dem Riff fest, mit dem ich bereits schmerzvoll Bekanntschaft geschlossen hatte, als ich über Bord gegangen war. Die immer noch recht hohen Wellen, die sich dort schäumend brachen, hoben den Bug rhythmisch auf und ab.

Instinktiv wollte ich sofort loslaufen, doch da war ja noch das Problem mit der Leiter. Diese lag neben dem Baum auf dem Boden. Vorsichtig blickte ich mich erst noch einmal um, ob das Tier von heute Nacht womöglich irgendwo auf der Lauer lag. Doch jetzt, im Hellen, war nichts zu sehen, nicht einmal Spuren.

Von meinem Baum ohne Leiter herunterzukommen war nicht so schwer, jedoch schmerzte mein Bein dabei wie verrückt. Ich musste unbedingt an Bord der Jacht gelangen und dort die Schiffsapotheke finden, bevor sich meine Wunden noch richtig entzündeten.

Obwohl mein Magen wie ein zorniger Bär knurrte, war mein Appetit auf die wilden Bananen verflogen. Insgeheim hoffte ich darauf, von Bord der Jacht die Reste des Proviants zu bergen. Doch mein Optimismus wurde durch aufkommenden Wind aus Seerichtung gedämpft, der sich innerhalb kurzer Zeit zu einer reichlich steifen Prise verstärkte. Schon bald wurden auch die Wellen höher. Tosend brachen sie sich auf der Höhe des Riffs und rollten dann schäumend an den Strand.

Unter diesen Bedingungen zu versuchen, zu dem Boot zu schwimmen, wäre selbst für einen guten Schwimmer kaum schaffbar, für mich jedoch wäre es in meiner Verfassung glatter Selbstmord gewesen. Enttäuscht und unzufrieden mit meiner Situation, setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich an einen der vielen Felsbrocken, die hier überall herumlagen.

Warum ich? Warum musste das gerade mir passieren? Und überhaupt, wie sollte es nun weiter gehen?

Ein greller Pfiff riss mich aus meinen dunklen Gedanken. Nicht weit von mir entfernt saß ein gelb-roter Papagei auf dem Boden und beäugte mich neugierig. Außer im Zoo hatte ich noch nie einen so großen und hübschen Vogel gesehen. Auch schien er keinerlei Angst vor mir zu haben, was entweder daran lag, dass er Menschen gewohnt oder bisher nie solchen begegnet war.

In mir keimte der Wunsch auf, den Papagei zu streicheln. Da ich selbst nichts zu Essen hatte, konnte ich ihn auch nicht anlocken. Aber eigenartigerweise führte sein Anblick dazu, dass sich die Richtung meiner Gedanken änderte. Ich spürte plötzlich so etwas wie Dankbarkeit gegenüber Gott, dass ich noch lebte und nicht wie meine Freunde einen nassen Tod gefunden hatte.

Was ich jetzt am allerwichtigsten brauchte, war etwas zu Essen und zu Trinken. Die wilden Bananen mochte ich nicht noch einmal essen und darauf zu hoffen, dass es in Strömen gießt, damit ich an Wasser komme, war auch keine brauchbare Aussicht. Wenn ich bei der Suche womöglich auf irgendwelche Menschen treffen sollte, wäre das natürlich noch besser.

Die Sonne brannte inzwischen schon wieder ziemlich heftig. Nur hin und wieder schob sich eine der schnell vorbeiziehenden Wolken für kurze Zeit davor und warf ihren Schatten auf mich. Schon nach wenigen Minuten brannte mir meine Kehle wieder wie am Vortag.

Trotz der Schmerzen in meinem Bein machte ich mich auf, den steilen Hang emporzuklettern. Anfangs ging das auch noch ganz gut. Abgesehen von dem dornigen Gestrüpp, welches einige Stellen nahezu unpassierbar machte, gab es kaum größere Hindernisse. Allerdings musste ich schon bald von Stein zu Stein klettern.

Eine schmale Schlucht kreuzte meinen eingeschlagenen Weg. Doch was ich an deren Boden erblickte, ließ mein Herz höher schlagen. Ein kleines Bächlein mit klarem Wasser schlängelte sich dort zwischen den Steinen entlang.

Es dauerte nicht lange, bis ich den Grund der Schlucht erreichte. Aber das kühle Wasser war Entschädigung genug für die Anstrengung. Eigentlich wollte ich ja nur ein paar Schlucke zur Erfrischung trinken, doch letztendlich trank ich so viel davon, dass mein Bauch davon schmerzte, weshalb ich eine Pause einlegen musste, bevor ich mich wieder aufmachen konnte.

Ich nutzte die Zeit auch gleich, um den notdürftigen Verband an meinem Bein zu erneuern, indem ich das T-Shirt in frischem Wasser auswusch und dann als kühlende Kompresse auflegte. Das anfängliche Brennen ließ schnell nach. Als ich mich dann wieder aufmachte, fühlte ich mich richtig frisch.

Leider hatte ich keinerlei Gefäße bei mir, in denen ich mir etwas Wasser hätte mitnehmen können. Aber wenigstens wusste ich nun, wo ich das lebensnotwendige Elixier finden konnte.

Nachdem ich mit etwas Mühe wieder aus der Schlucht herausgeklettert war, setzte ich meinen Aufstieg fort. Das Gelände war hier recht einfach. Neben Palmen und den mir schon bekannten wilden Bananenstauden gab es noch jede Menge anderer Bäume und Sträucher. Die meisten von denen kannte ich jedoch nicht.

An einem üppigen Baum hingen Früchte, die mich an Mangos erinnerten. Obwohl ich die eigentlich nicht wirklich mochte, pflückte ich mir eine Frucht und kostete sie vorsichtig. Vielleicht lag es an der Frische oder auch nur daran, dass mein Magen gar nicht mehr aufhören wollte zu knurren, jedenfalls schmeckte die Mango einfach nur köstlich. Trotzdem wollte ich den Fehler vom Vortag nicht wiederholten, weshalb ich mich mit einer Frucht begnügte.

Zu meiner Freude fand ich unter einer der Palmen, die gleich daneben standen, mehrere ganz neu heruntergefallene Kokosnüsse. Sofort machte ich mich daran, die faserige äußere Hülle zu entfernen. Da ich hier jedoch keine passenden Steine fand, mit denen ich die harte Schale hätte bearbeiten können, nahm ich vier der Nüsse, die beim Schütteln besonders schön plätscherten, mit mir.

Angetrieben von dem dringenden Wunsch, endlich etwas mehr Klarheit darüber zu erlangen, wo ich mich befand, und von der Hoffnung, andere Menschen zu entdecken und so Hilfe zu finden, machte ich mich wieder auf den Weg.

Der Anstieg wurde beschwerlicher. Auch wenn ich mich darüber freute, dass die Sonne inzwischen die meiste Zeit hinter Wolken verborgen war, kam ich nur recht langsam voran, da die Vegetation zumindest dort, wo ich war, einen fast undurchdringlichen Dschungel bildete.

Dadurch spürte ich zwar den allmählich stärker werdenden Wind nicht so stark, doch machte ich mir Sorgen, mich womöglich bei Einbruch der Dunkelheit noch immer inmitten des Urwaldes zu befinden, was ich aufgrund der Erlebnisse der letzten Nacht aber auf jeden Fall vermeiden wollte.

Also kehrte ich für heute wieder um. Da ich die Mangos gut vertragen hatte, pflückte ich mir auf dem Rückweg gleich noch so viele, wie ich tragen konnte. In der Schlucht angekommen, stillte ich noch einmal meinen Durst und entschied mich dann, dem Verlauf des Bächleins zu folgen, um herauszufinden, wo es in das Meer mündete.

Die Kletterei wurde dadurch nicht weniger, da immer wieder Passagen kamen, die kaum passierbar waren. Doch dann öffnete sich vor mir eine Bucht, die traumhafter nicht sein konnte. Zusammengefasst würde ich sagen: Südsee pur!

Eingerahmt von riesigen, dunklen Felsen breitete sich vor mir ein flacher, fast weißer Sandstrand aus. Mehrere hohe Palmen schwankten im Wind. Die Sonne, deren goldenes Licht sich in der aufgewühlten Wasseroberfläche des Meeres spiegelte, stand bereits tief über dem Horizont. Der Himmel leuchtete an den Stellen, wo keine Wolken waren, in einem tiefen Blau. Einzig das wilde Rauschen der Wellen war zu hören, die sich einmal in einiger Entfernung an dem Riff und dann noch einmal am Strand brachen.

Wäre ich hier auf einer Ferieninsel, dann würde ich diesen Anblick sicher in einem Liegestuhl liegend genießen. Mit meiner Frau auf dem daneben!

Das war das Stichwort! Bei allem, was ich in den letzten Tagen durchgemacht hatte, waren meine Gedanken nicht ein einziges Mal bei Joanna gewesen. Doch just in diesem Augenblick schoss mir ihr Bild durch den Kopf. Falls ich zuvor irgendetwas Romantisches wahrgenommen haben sollte, so war das auf einmal ins Gegenteil umgeschlagen.

Ich fühlte mich von der schönen Natur verhöhnt und verlassen. Wie ausgestoßen! Dem Tod geweiht. Tot!

Erschöpft sank ich auf meine Knie. Die Früchte, die ich in meinen Armen trug, fielen in den hellen Sand. Meine Hoffnung und meine Zuversicht waren wieder einmal auf dem Nullpunkt. Wieso ich? Wieso?

Wehmütig ließ ich meinen Blick über den Strand und schließlich über das aufgewühlte Meer schweifen. Mit einem Mal stand ich wieder auf meinem Beinen. Ich war so schnell aufgesprungen, dass mir für einen Moment schwarz vor Augen wurde.

Da war es wieder! Winzig, aber doch erkennbar, war dort ein großes Schiff am Horizont zu erkennen. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Containerschiff.

»HALLO! HIER! ICH BIN HIER! HALLO! HELFT MIR! HILFE!«

 

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